Warum Hoffnung?
© Stephan Doleschal
Rainald Tippow
Warum Hoffnung?
Weil Verzweiflung sinnlos ist.
In unseren Tagen erleben wir ein ausgiebiges Suhlen in schlechten Nachrichten, gespeist aus der deprimierenden Weltlage aus Krieg, Klimakatastrophe und Corona News, komplettiert durch unser österreichisches Jammern und Sudern. Demgegenüber kann uns nicht nur der Blick auf Fakten und Entwicklungen, sondern auf ganz anderer Ebene und mehr noch das Lernen aus alter und neuer Mystik die Quellen der Hoffnung auf eine gute Zukunft erschließen. Dabei geht es um echte, fundierte und tiefe Hoffnung, die weder Vertröstung noch banales positives Denken ist.
Der erste Schritt
Wenn uns das Stakkato der Empörungskultur, die Freude an der Katastrophe, die ununterbrochene Abfolge von detailreichen Darstellungen der Abgründe der Klimakatastrophe, des Kriegs in unserer Nachbarschaft, des Terrors und der Unfreiheit in weiten Teilen der Welt, die Inflation und schließlich die noch immer im Hinterkopf lauernde Pandemie den Raum zum Atmen und Leben nehmen, brauchen wir die Rückbesinnung auf den Urgrund unseres menschlichen Seins.
Warum und wie soll das gehen?
Was wir heute so außerordentlich und in erster Linie brauchen, ist Prävention und Stärkung des gesellschaftlichen Immunsystems. Wenn wir so mancher politischen oder gesellschaftlichen Analyse unserer Tage zuhören, sind wir nicht selten an Dantes Satz aus der „Göttlichen Komödie“ erinnert: „Ihr, die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren“. Dieser Satz ist als Motto über dem Höllentor angebracht. Hölle ist also das Gegenteil von Hoffnung. Und dennoch: Die Menschen haben immer gehofft, auch zu Dantes Zeit, als es unseren Vorfahren sehr viel schlechter ging als uns heute, ihr Leben kurz und von schweren Krankheiten gezeichnet war. Hoffnung ist das, was Menschen in den entsetzlichsten Situationen ihres Lebens überleben ließ. Vom Mittelalter bis zu Frankls „Trotzdem ja zum Leben sagen“. Und Hoffnung ist auch das, was uns heute so hilft wie sonst nichts.
Hoffnung 2.0
Die alten Hoffnungstexte werden uns seit Generationen nicht mehr ins Heute gebracht. Die großen Erzählungen der Kirchen sind im Kreisen um die eigenen Strukturprobleme in der Zeit der Moderne kraftlos geworden und schließlich in den letzten Jahrzehnten fast gänzlich verlorengegangen.
Dabei geht es darum, uns das unaussprechliche Geheimnis zu vergegenwärtigen, um das Sein hinter, unter und über unserem Dasein, Urgrund und Hoffnung unseres Daseins und das transzendente, alles Verstehen unendlich Übersteigende.
Unser Hirn ist auf Hoffnung ebenso angelegt wie auf unsere tiefsten Sehnsüchte, unser Lieben und alles, was uns eigentlich als Menschen leben lässt.
Um aus der selbstgebauten Falle der modernen Höllen zu entkommen, müssen wir uns einerseits bewusst machen, dass wir zwar viel jammern, klagen, maulen und sudern, zugleich aber abgesichert, in Wohlstand und Gesundheit ein Alter erreichen, das noch vor wenigen Generationen undenkbar war. Selbst einem Aristokraten des 17. Jahrhunderts ging es nicht auch nur annähernd so gut wie einem durchschnittlichen Europäer des frühen 21. Jahrhunderts.
Die weiteren Schritte
Wenn das erst einmal im Bewusstsein angekommen ist, können wir die Hoffnung kultivieren. Hier treffen sich die alten Weisheiten der Mystik mit frischen Erkenntnissen der Neurowissenschaften.
Im Sein hinter unserem Dasein liegt die Hoffnung begraben. Offenlegen können wir sie durch einige recht einfache Maßnahmen. Dankbarkeit ist so eine. In die Dankbarkeit können wir uns einarbeiten. Am ersten Tag, wenn wir darüber nachdenken, fallen uns vielleicht nur zwei, drei Dinge ein, für die wir dankbar sein können. Manchen von uns fallen gleich hundert und mehr ein. Mit jedem Tag aber werden es mehr. Gleichzeitig wird unser Hirn, wie ein Muskel, den wir auf die richtige Weise trainieren, immer besser im Danken und Hoffen.
Der Einsatz für Barmherzigkeit und Gerechtigkeit ist ein weiterer Kultivierungsfaktor für die Hoffnung. Das „soziale Gen“ nennt es die Forschung, die entdeckt hat, dass solidarisches Handeln für beide Teile zu einem besseren Leben führt, für Handelnde, wie für Begünstigte. Hunderttausende Menschen tun das schon in unserem Land und erleben ihr Leben als sinnvoller als ohne gelebte Barmherzigkeit.
Ein gutes Leben entsteht dann, wenn wir aus einer tiefen Liebe zu einem durch Sinnhaftigkeit und Humanität gekennzeichneten gelungenen Leben zu einem Zusammenleben kommen, das allen Menschen, insbesondere denen am Rand, den Ausgestoßenen, Einsamen, Alten und Abgewerteten einen gerechten Anteil am guten Leben zugesteht.
Dann geht es um Humor, der uns einen Abstand zu unserem Dasein gewinnen lässt, wenn es gerade ganz besonders grauslich ist. Humor führt uns in das Leben hinein, am besten erreicht das die Kunst, über uns selbst lachen zu können. Der Moment, in dem sich das Absurde enthüllt, in dem das Menschliche offenbar wird, ist ein Moment der Demut, ein Moment, in dem sich der Ernst des Lebens ins Groteske umkehrt und es ist der Moment, in dem wir uns neu, nun aber mit größerer Gelassenheit, weil mit einem gewissen Abstand zum Ernst des Lebens, auf ebendieses Leben einlassen können.
All das, Liebe zu den Menschen, Dankbarkeit und Solidarität, Freude und Humor sind Wege der Hoffnung in einer Zeit, in der wir nicht zulassen dürfen, dass sich die Gesellschaft der Hölle der Hoffnungslosigkeit überlässt.
Dr. Rainald Tippow
st/mz